Der europäische Aftermarket wird heute wesentlich durch fünf Großhändler geprägt, die über Ländergrenzen hinweg agieren. Allen gemein ist ein starkes Filialnetz, intensive Kundenbindung über Werkstattkonzepte und der Versuch, sich über digitale Services zu differenzieren. Der Beitrag vergleicht die Strukturen und Strategien von LKQ, Alliance Automotive, Inter Cars, PHE und WM SE – fünf Gruppen, die den freien Teilehandel Europas maßgeblich formen.
Konsolidierung auf dem europäischen Aftermarket
Der Independent Aftermarket in Europa befindet sich seit über einem Jahrzehnt in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Während früher lokale oder nationale Teilehändler den Markt dominierten, hat sich durch Übernahmen, Beteiligungen und internationale Expansion ein Oligopol herausgebildet. Die „Big Five“ – LKQ Europe, Alliance Automotive Group, Inter Cars, Parts Holding Europe (PHE) und WM SE – stehen dabei sinnbildlich für diese Entwicklung. Sie bedienen mehrere Millionen freie Werkstätten, verfügen über tausende Niederlassungen und erzielen gemeinsam einen Umsatz von mehr als 18 Milliarden Euro jährlich.
LKQ Europe: Der Marktführer
LKQ Europe mit Hauptsitz in Zug (Schweiz) gilt als der größte Ersatzteilgroßhändler Europas. Die europäische Tochter des US-Konzerns LKQ Corporation hat seit 2011 über 80 Firmen übernommen, darunter Branchengrößen wie Stahlgruber, Rhiag oder Euro Car Parts. Heute betreibt LKQ rund 900 Standorte in 18 europäischen Ländern, beschäftigt 26.500 Mitarbeitende und erzielte zuletzt 6,4 Mrd. USD bzw. 5,4 Mrd EURO Umsatz (2023).
Ein zentrales Element der Unternehmensstrategie ist die Bündelung von Marken und Dienstleistungen unter einer Dachstruktur. Neben dem klassischen Teilehandel setzt LKQ stark auf Werkstattkonzepte. Die neue Plattform vereint rund 8.000 Werkstätten aus elf Ländern und soll über Schulungen, Tools und Marketingleistungen die Partner stärken. Bekannte Konzepte sind Autofit, AutoProfi, AC Auto Check oder Officina N°1. Auch auf Nachhaltigkeit wird gesetzt: Teile-Recycling und Circular Economy gelten als DNA von LKQ Europe.
Inter Cars: Der osteuropäische Herausforderer der Teilehändler
Inter Cars S.A. aus Polen hat sich zur Nummer zwei im europäischen Aftermarket entwickelt. 1990 gegründet, expandiert das Unternehmen kontinuierlich in Ost- und Westeuropa. 2023 betrieb Inter Cars über 670 Filialen in 19 Ländern und erzielte 3,9 Mrd. € Umsatz. Mit nur rund 5.000 Mitarbeitenden operiert die Gruppe sehr effizient.
Besonderes Augenmerk legt Inter Cars auf Logistik und Werkstattbindung. Ein vollautomatisiertes Lager bei Warschau (100.000 m²) sowie mehrere tägliche Belieferungen sichern hohe Verfügbarkeit. Die Werkstattkonzepte Q-Service und Q-Service Truck bieten eine klaren Fokus auf die Bedürfnisse der Werkstatt. Zudem investiert Inter Cars frühzeitig in digitale Plattformen wie Motointegrator.com, um auch Privatkunden anzusprechen. Damit entsteht ein hybrides Geschäftsmodell, das auf schlanken Strukturen basiert, aber zunehmend europäische Reichweite erzielt.
Teilehändler Alliance Automotive Group mit US-Wurzeln
Alliance Automotive Group (AAG) gehört seit 2017 zur Genuine Parts Company (GPC), dem weltweit größten Kfz-Teilehändler. Mit über 2.550 Standorten in zehn europäischen Ländern – darunter UK, Frankreich, Deutschland und Polen – erwirtschaftet die Gruppe rund 3,5 Mrd. € Jahresumsatz.
Eine weitere Besonderheit ist der Rollout der berühmten US-Eigenmarke NAPA in Europa – Sukzessive wurden Produkte für europäische Fahrzeug dazugekommen. So bietet AAG neben den IAM Teilen und seiner Eigenmarke auch diverse OE-Teile an.
Parts Holding Europe: Frankreichs Branchenführer
Parts Holding Europe (PHE), hervorgegangen aus der Autodistribution-Gruppe, ist Marktführer in Frankreich und führend in mehreren südeuropäischen Ländern. 2023 erwirtschaftete PHE rund 2,6 Mrd. € Umsatz mit 9.100 Beschäftigten. Die Präsenz erstreckt sich über sechs Länder – darunter Spanien, Belgien, Italien und Luxemburg.
Neben klassischem Großhandel betreibt PHE auch Online-Plattformen wie Oscaro, den führenden B2C-Händler für Ersatzteile in Frankreich. Werkstattkonzepte wie AD Garage oder Giadi (Italien) sichern die Kundenbindung. Seit der Übernahme durch die D’Ieteren Group im Jahr 2022 wird die Expansion nochmals forciert. Zuletzt wurde etwa die irische Top Part-Kette übernommen. PHE sieht sich als „Multi-Spezialist“, der Werkstätten und Endkunden gleichermaßen bedient – online wie offline.
WM SE: Der deutsche Mittelständler im Konzert der Großen
WM SE (Wessels + Müller) bleibt trotz wachsender Konkurrenz ein bedeutender Akteur im deutschsprachigen Raum. Als familiengeführtes Unternehmen mit über 100-jähriger Geschichte operiert WM mit über 200 Standorten in acht Ländern und erzielte 2023 rund 2,0 Mrd. € Umsatz. Ein Meilenstein war die Übernahme der Trost-Gruppe 2017.
Im Fokus steht ein breites Sortiment von über 250.000 Artikeln sowie eine leistungsstarke Logistik mit mehreren Lieferzyklen täglich. WM ist stark in Werkstattkonzepte eingebunden – insbesondere mit „Meisterhaft“ und „AC Auto Check“.
Fazit: Konzentration mit Zukunft der Teilehändler
Der freie Kfz-Teilehandel in Europa wird zunehmend durch einige wenige Großstrukturen geprägt. Dabei entstehen Synergien durch gemeinsame Einkaufsmacht, vernetzte Werkstattkonzepte und digitale Tools. Während LKQ und AAG durch US-Konzerne gestützt sind, wachsen Inter Cars und PHE aus Europa heraus. WM SE bleibt als „mittelständischer“ Player konkurrenzfähig – nicht trotz, sondern wegen seiner regionalen Verwurzelung. Die Konsolidierung ist nicht abgeschlossen – neue Märkte und Online-Modelle werden entscheidend für die nächste Wachstumsphase. HARO / MID
FAQ
Wie unterscheiden sich die fünf größten Teilehändler Europas?
Die fünf größten Teilehändler – LKQ, AAG, Inter Cars, PHE und WM SE – unterscheiden sich in Größe, Herkunft und Strategie. Während LKQ und AAG US-geführte Konzerne mit breiter Digitalisierung sind, punkten Inter Cars und PHE durch regionale Nähe und Werkstattbindung. WM SE setzt auf mittelständische Strukturen und Kundennähe.
Welche Rolle spielen Werkstattkonzepte bei den Teilehändlern?
Werkstattkonzepte dienen zur langfristigen Kundenbindung. Alle großen Händler betreiben eigene Netzwerke mit Schulungen, Marketing und Systemunterstützung. Beispiele sind Q-Service (Inter Cars), AD Garage (PHE) oder AutoCare (AAG). Sie helfen, Werkstätten im Wettbewerb mit Vertragsbetrieben zu stärken.
Welche Händler sind im Online-Geschäft besonders aktiv?
PHE und AAG investieren stark in Online-Vertrieb. Oscaro (PHE) und Winparts (AAG) adressieren Endkunden im B2C-Segment. Inter Cars nutzt Motointegrator, um Werkstatttermine zu vermitteln.