Zum elften Mal bot das Atelier-Theater am 2. Dezember 2025 in Köln hochkarätigen Speakern aus der automotiven Welt eine Bühne, um dem Publikum im Theater Einblicke in ihr tägliches Business und in Strategien für das Bestehen in einem immer härter umkämpften Aftermarkt zu gewähren. Veranstalter und Initiator René Herrmann konnte sich nicht nur über den zahlreichen Zuspruch des Publikums freuen, sondern auch über interessante Gäste aus dem weitreichenden Spektrum automotiver Geschäftsfelder.
Dabei wird der Automotive Talk Köln (AMtalk) immer internationaler, sowohl im Publikum mit Gästen aus Irland, Niederlande und Belgien, als auch in den Reihen der Speaker. So gab mit Pehr Oscarson, Präsident und CEO des führenden nordeuropäischen Aftermarket Teilegroßhändlers MEKO aus Schweden, Einblicke in den skandinavischen Markt und den Einfluss der Elektromobilität auf den IAM. Durch das Programm führte in bewährter Weise Dr. Max Siegloch.
Kundenservice neu gedacht
Zum Auftakt stellte Lars Burbach, Manager Ford Pro GTM, das Ökosystem von Ford Pro vor. Dabei steht Pro für Produktivität, die durch verschiedene Lösungsansätze gesteigert werden soll. Im Mittelpunkt stehen dabei gewerbliche Kunden und ihre individuellen Anforderungen an ein Fahrzeug und den Service dahinter, etwa maßgeschneiderte Fahrzeuge. Darüber hinaus kommt auch dem Thema „Connected Vehicle“ große Bedeutung zu, wo man mit State-of-the-Art-Software und einer Neudefinition von Services die Produktivität und Einsatzzeiten der Kunden steigern will. Viele Unternehmen stellen sich derzeit auch die Frage, ob ein Umstieg auf E-Mobilität eine Alternative darstellt. Auch hier will Ford mit der Auswertung von Fuhrparkdaten den Kunden sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für vollelektrische Fahrzeuge aufzeigen.
„Ein Algorithmus berechnet dabei, ob es etwa zu einem Verbrenner-Fahrzeug eine äquivalente Lösung aus dem Bereich der E-Fahrzeuge zur Verfügung steht“,
so Burbach. Diese Unterstützung steht dem Kunden kostenfrei zur Verfügung. „Das ist eine Hilfe für uns, unseren Kunden die E-Mobilität etwas schmackhafter zu machen, denn auch wir als Hersteller müssen ja eine gewisse Quote in Bezug auf CO2-Reduktiion erfüllen“. Neue Wege im Service geht Ford mit der mobilen Werkstatt, die mittlerweile von 90 Ford-Partnern angeboten wird und rund 70 Prozent der Reparaturen vor Ort beim Kunden erledigen. Gleichzeitig will man über ein Kundenportal die Kunden proaktiv auf anstehende Services oder Reparaturen informieren, um Ausfälle zu vermeiden. „Für den Kunden ist sein Fahrzeug ein Werkzeug, ohne das er seinen Job nicht erledigen kann. Und deshalb bedarf es diesem ganzheitlichen Ansatz und unserem Fokus darauf“, fasst Burbach zusammen.
Selbst ist die Werkstatt
Mit Jan Knoll betrat der langjährige Stammgast des AMtalk und Vorstand der MOTOO eG erstmals auch die Bühne und erklärte den ungewöhnlichen Weg des Werkstattkonzeptes MOTOO von einem handelsbasierten Werkstattkonzept zu einer Genossenschaft. Auslöser dafür war die Insolvenz des Teilegroßhändlers und Konzeptgebers Hess Automotive im Jahr 2022. Damit stand das Konzept vor dem Aus, dass es heute noch existiert und erfolgreich ist, ist dem Engagement einiger Werkstattpartner, darunter auch Jan Knoll, zu verdanken. Sie wollten das Konzept in Eigenregie und neuer Gesellschaftsform weiterführen. Die Idee einer eingetragenen Genossenschaft, die ohne einen Großhändler als Konzeptgeber im Hintergrund agiert, war in der Branche völlig neu. Mit 10 Werkstätten gründete man die neue MOTOO 2022, nachdem man die Markenrechte erworben hatte. Heute zählt die MOTOO wieder 75 Partner, Tendenz steigend. Die Genossenschaft basiert auf den Grundprinzipien Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.
„Das Interessante ist, die Werkstätten sind Eigentümer der Gemeinschaft“.
Jeder hat einen Anteil. Die Werkstätten sind auch Besitzer der Marke MOTOO. Entscheidungen werden in so einer Genossenschaft grundsätzlich hochdemokratisch getroffen. Und das Tollste eigentlich: die Gewinne und Einkaufsvorteile kommen direkt den Mitgliedern, also Werkstätten und Autohäusern zugute und nicht einem externen Konzeptgeber“, fasst Knoll die Vorteile der neuen Gesellschaftsform zusammen. Stolz verkündete er abschließend noch den letzten Coup, den man landen konnte: „Am 1.7. dieses Jahres sind wir als Genossenschaft Mitglied in der ATEV-Genossenschaft geworden. Wir sind dort Mitglied geworden, um zu partizipieren, um unseren Mitgliedern, unseren Werkstätten, bessere Einkaufskonditionen bieten zu können“.
Optimistischer Blick für einen EV Aftermarket
Einen Blick in den Teilehandel im europäischen Ausland gewährte Pehr Oscarson, CEO bei MEKO, einem führenden Teilehandelsunternehmen aus Schweden und Norwegen. Operativ ist das Unternehmen in Skandinavien und im Baltikum unterwegs, wo es vor allem durch seine eigenen Marken wie Mekonomen, MECA, AutoMester oder CarPeople bekannt ist. Mit rund 4.500 angeschlossenen Werkstätten, mehr als 700 Distributionszentren und stündlich rund 50.000 verschickten Teilen führt das Unternehmen den IAM in Nordeuropa an. Da Skandinavien der Elektromobilität aufgeschlossen gegenübersteht – in Norwegen fahren rund 30 Prozent der Autos vollelektrisch – ist der Druck auf den Teilehandel zwar groß, Pehr Oscarson blickt dennoch optimistisch in Zukunft.
„Wir lernen vor allem aus dem Markt in Norwegen und wollen das auf die anderen Märkte adaptieren. Erste Erkenntnisse zeigen, dass die Kosten für Verbrenner und EV über die Lebenszeit annähernd gleich sein werden. Der Reparatur- und Wartungsbedarf bei EVs wird nur später einsetzen“,
so Oscarson. Bereits seit fünf Jahren bietet man Weiterbildungen zur EV-Fachkraft an und ist auch Trainingspartner für viele OEM. Laut Oscarson wird sich der Reparaturmarkt in Zukunft zwar verändern und andere Schwerpunkte setzen, aber mit der richtigen Anpassung im Teilehandel und dessen Unterstützung für den Werkstattmarkt ist er sehr optimistisch.
Die Bedeutung von OEM-Daten im Aftermarket
Warum originale OEM-Daten den Unterschied machen und in Zukunft für Reparaturen immer wichtiger werden, erklärte Thomas Müller von der Volkswagen Group Info Services. „Wenn ich das Thema Daten nehme und die Vielzahl an Systemen, die in einem Fahrzeug vorhanden sind und für die auch die Daten notwendig sind, die ich speziell benötige, wenn ich Fahrzeuge repariere, müssen wir die Verfügbarkeit sicherstellen, das ist unser Job. Wir wollen letztendlich alle, die im Markt sind, mit den wichtigen und notwendigen Daten versorgen, dass die Fahrzeuge immer zur Zufriedenheit der Kunden optimal repariert oder auch Services durchgeführt werden können“.
Deswegen sei es von großer Bedeutung, dass die Aftermarket Daten, die man heute einer freien Werkstatt anbietet, die gleichen sind wie die, die heute die Vertragswerkstatt kriegt. Damit sei auch eine dementsprechende Gleichstellung vorhanden, so Müller. Die Volkswagen Group Info Services fungiert als Plattform, die die Daten zur Verfügung stellt.
„Hier kann sich jede Werkstatt registrieren und aus einer Vielzahl von Informationen entsprechende Datenprodukte nutzen“,
so Müller. So will man maximale Effizienz bereitstellen, um zufriedene Kunden zu haben und den bestmöglichen Service zu unterstützen.
Maximal Zeit sparen
Florian Pilger, Gründer und Geschäftsführer der Teilehandelsplattform auteon, beleuchtete das Aftermarket-Paradox. auteon ist in den DACH-Regionen aktiv und zählt über 5.800 Betriebe auf der Plattform, wo sie auf über 240 Großhändler und 40 Original-Teilemarken von verschiedensten Anbietern und Marktplätzen zugreifen können.
„Unser Ziel ist, dass wir den Werkstätten in ihren Prozessen maximal Zeit sparen helfen“,
so Pilger. Als Paradox sieht er auf der einen Seite, dass die Werkstätten gut ausgelastet sind, auf der anderen Seite sieht er relativ schwache Strategien in vielen Bereichen des Aftermarkets, weil sehr reaktiv gearbeitet wird. Das betrifft die Tier1-Unternehmen, aber auch den Großhandel im Umgang mit Online-Playern oder osteuropäischen Unternehmen, die gerne ihren Teil vom Umsatzkuchen hätten. „Es gibt viel Intransparenz im Markt, viele Insellösungen und viel Protektionismus, auch innerhalb des Aftermarktes“, so Pilger. „Es gibt viel Kooperation im Markt, aber die ist immer sehr selektiv. Aus unserer Sicht bräuchte es ein gemeinsames Ökosystem und auch gemeinsame Strategien, um für die Zukunft gewappnet zu sein“, fasste Pilger zusammen.
Möchten auch Sie tiefergehende Informationen von den wichtigen Playern des Aftermarkets erfahren? Dann melden Sie sich für den nächsten Automotiv Talk am 05.05.2026 in Köln an: www.amtalk.de
Was bedeutet der Wandel hin zur Genossenschaft bei MOTOO?
Die MOTOO-Werkstätten haben sich 2022 nach dem Ausstieg von Hess Automotive zur Genossenschaft zusammengeschlossen. In dieser Struktur sind alle Mitglieder gleichzeitig Eigentümer, was mehr Unabhängigkeit, demokratische Entscheidungen und direkte Vorteile beim Einkauf ermöglicht. Gewinne bleiben in der Gemeinschaft.
Wie unterstützt Ford Pro gewerbliche Kunden bei der Elektromobilität?
Ford Pro bietet über ein eigenes System Fuhrparkanalysen an, um potenzielle Einsatzmöglichkeiten für Elektrofahrzeuge zu identifizieren. Ein Algorithmus gleicht reale Fahrzeugdaten mit EV-Modellen ab. Ziel ist es, durch datenbasierte Empfehlungen den Umstieg auf E-Fahrzeuge zu erleichtern.
Warum sind OEM-Daten für freie Werkstätten so wichtig?
Originale OEM-Daten sind essenziell, um moderne Fahrzeuge korrekt zu diagnostizieren und instand zu setzen. Ohne diese Informationen kann eine freie Werkstatt viele Reparaturen nicht fachgerecht durchführen. Die Volkswagen Group Info Services stellt diese Daten nun auch unabhängigen Betrieben zur Verfügung.
Welche Herausforderungen sieht auteon im heutigen Independent Aftermarket?
auteon sieht eine fehlende strategische Ausrichtung und viel Intransparenz im Markt. Einzelne Akteure verfolgen oft isolierte Lösungen. Für eine stabile Zukunft brauche es ein kooperatives Ökosystem, in dem Prozesse vereinheitlicht und Ressourcen gemeinsam genutzt werden.

