Zwischen wirtschaftlicher Unsicherheit und technologischer Umbruchsituation steht die deutsche Industrie erneut vor einem Scheideweg. Der geopolitische Einfluss aus den USA und China ist dabei nur eine Facette. Viel schwerer wiegt das Zusammenspiel aus regulatorischer Überfrachtung, einem aufgeblähten Staatsapparat und fehlendem Reformmut. Besonders der Automobilsektor als Rückgrat des deutschen Mittelstands ringt mit den Folgen dieser politischen Trägheit. Eine nüchterne Bestandsaufnahme liefert Antworten auf die Frage: Wie lässt sich dieser Strukturwandel gestalten, ohne an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren? Thomas Vollmar, Präsident des Gesamtverband Autoteilehandel GVA eröffnete die diesjährige GVA Konferenz mit Ansichten der aktuellen, geopolitischen Situation.
Geopolitische Druckkulisse verschärft den Transformationsdruck
Im Zentrum der Diskussion steht die wachsende Abhängigkeit Europas und insbesondere Deutschlands von den beiden globalen Großmächten USA und China. Während die USA als sicherheitspolitischer Partner an Bedeutung gewinnen, bleibt die wirtschaftliche Vernetzung mit China eine doppelschneidige Angelegenheit. Gerade im Automotive-Bereich manifestiert sich diese Entwicklung – etwa beim Import chinesischer Elektrofahrzeuge oder Vorprodukte wie Batteriezellen und Elektronikkomponenten.
Deutsche Industrieunternehmen, besonders im Mittelstand, entwickeln Strategien zur Resilienz: mit regionalisierter Beschaffung, lokaler Fertigung und stärkerer technologischer Unabhängigkeit. Doch diese Anpassungsleistung erfolgt trotz, nicht wegen, politischer Rahmenbedingungen.
Die Parabel von Toyota und die verpasste Technologieoffenheit
Ein Blick auf den japanischen Fahrzeughersteller Toyota zeigt, wie anders Innovations- und Produktstrategien aussehen können. Während in Europa das Verbrennerverbot ab 2035 als Dogma gesetzt wird, verfolgt Toyota einen technologieoffenen Ansatz. Der Fokus liegt auf marktorientierten Lösungen – vom klassischen Verbrenner über Plug-in-Hybride bis zur Brennstoffzelle.
Das Beispiel Toyota illustriert, wie ein Unternehmen erfolgreich bleibt, wenn es nicht politischen Ideologien folgt, sondern reale Infrastrukturbedingungen und Kundenbedarfe berücksichtigt. Eine Lehre, die deutschen OEMs und der Politik durchaus zu denken geben sollte.
Staatliche Subventionen und verfehlte Lenkungseffekte
Mit Blick auf die staatlichen Transferleistungen wird deutlich: Subventionen werden häufig nach politischem Zeitgeist und nicht nach ökonomischer Wirksamkeit vergeben. Die Plug-in-Hybrid-Förderung ist ein Paradebeispiel. Trotz nur marginalem ökologischen Nutzen profitieren Dienstwagenfahrer von steuerlichen Vorteilen – zulasten des Fiskus.
Gleiches gilt für die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie. Diese Maßnahme entlastet vor allem margenstarke Kettenbetriebe, ohne spürbare Effekte auf Preisgestaltung oder Angebotsvielfalt. Eine zielgenaue Wirtschaftsförderung sieht anders aus – insbesondere in Zeiten knapper Haushaltsmittel und wachsender Staatsverschuldung.
Sozialversicherungsbeiträge und Lohnnebenkosten aus dem Ruder
Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die ausufernden Sozialversicherungsbeiträge. Krankenkassen melden Verluste, Beiträge steigen – mit unmittelbarer Wirkung auf die Arbeitskosten im Inland. Die Folge: Unternehmen weichen auf Standorte mit geringerer Abgabenlast aus.
Ungarn wird dabei nicht zufällig zum Magneten für deutsche Industrieinvestitionen. Die Gesamtkostenquote liegt dort 56 Prozent unter dem deutschen Niveau – ein klarer Wettbewerbsnachteil für den Standort Deutschland. Gleichzeitig wird der Handlungsbedarf in der Politik weitgehend ignoriert.
Staatlicher Reformstau blockiert Innovation und Investition
Ein wiederkehrendes Thema: der Reformstau. Wichtige Zukunftsbereiche wie Bildung, Forschung, Sicherheit und Landesverteidigung leiden unter mangelnder strategischer Priorisierung. Statt gezielter Modernisierung dominieren kurzfristige Maßnahmen, politische Symbolik und überholte Gießkannenprinzipien.
Zudem wächst der Anteil des Staatskonsums, während die Investitionsquote sinkt – vor allem im privaten Bereich. Unternehmen wie BMW investieren lieber in Ungarn oder China, weil dort planungssicherere und wirtschaftlichere Bedingungen herrschen. Deutschland droht, beim Rennen um Zukunftstechnologien den Anschluss zu verlieren.
Wehrpflichtdebatte als Symbol für gesamtgesellschaftliche Schieflage
Die geplante Rückkehr zu einer verpflichtenden Wehrform ist symptomatisch für den gesellschaftlichen Richtungsstreit. Während konservative Stimmen die Bedeutung von Verteidigungsfähigkeit betonen, sehen andere darin ein Relikt vergangener Zeiten.
Die Diskussion zeigt deutlich: Die gesellschaftliche Haltung zu Verantwortung, Eigenleistung und Pflichterfüllung hat sich verschoben. Die Erwartung an den Staat, alle Risiken abzufedern, steht zunehmend im Widerspruch zur Notwendigkeit, Eigenverantwortung zu stärken – auch im unternehmerischen Kontext.
Fazit: Zukunftsfähigkeit braucht mehr als nur Transformation
Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel lässt sich nicht mit Förderprogrammen und Subventionen allein gestalten. Entscheidend ist eine Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Prinzipien, unternehmerische Eigenverantwortung und ein handlungsfähiger Staat, der auf klar definierte Kernaufgaben fokussiert.
Technologieoffenheit, Bürokratieabbau und steuerliche Entlastung sind zentrale Stellschrauben, um die industrielle Substanz in Deutschland zu sichern. Ohne politische Kurskorrektur droht der Standort weiter ins Hintertreffen zu geraten – mit spürbaren Folgen für Mittelstand, Beschäftigung und Wohlstand. Q:GVA
FAQ
Welche Rolle spielt Technologieoffenheit im Automobilsektor?
Technologieoffenheit ermöglicht es Herstellern, flexibel auf unterschiedliche Märkte und Infrastrukturen zu reagieren. Toyota verfolgt diesen Ansatz erfolgreich und bietet verschiedene Antriebsformen parallel an. Im Gegensatz dazu wird in Europa stark auf Elektromobilität fokussiert, was in Regionen mit fehlender Ladeinfrastruktur problematisch ist.
Warum investieren deutsche Konzerne vermehrt im Ausland?
Hohe Lohnnebenkosten, komplexe Genehmigungsverfahren und steuerliche Belastungen machen den Standort Deutschland unattraktiv. Länder wie Ungarn bieten deutlich günstigere Rahmenbedingungen, was Investitionen dort begünstigt. Die Folge: Know-how und Arbeitsplätze verlagern sich zunehmend.
Wieso gelten Plug-in-Hybride als ineffektiv trotz staatlicher Förderung?
Plug-in-Hybride werden oft kaum elektrisch genutzt, vor allem bei langen Pendelstrecken. Der reale Verbrauch liegt dadurch nahe dem eines klassischen Verbrenners. Die Steuervergünstigungen für Dienstwagenfahrer sind dadurch weder ökologisch noch ökonomisch gerechtfertigt.
Welche politischen Reformen wären jetzt vordringlich?
Dringend notwendig sind der Abbau überflüssiger Subventionen, eine Reform der Sozialversicherungssysteme sowie eine Entlastung mittelständischer Unternehmen bei Steuern und Abgaben. Auch Investitionen in Bildung, Sicherheit und Infrastruktur sollten priorisiert werden, um langfristig Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

