Im Zuge der Euro-7-Regulierung geraten auch nicht-abgasbezogene Emissionen wie der Reifenabrieb verstärkt in den Fokus. Das Projekt »TERIS« will neue Maßstäbe setzen, um die Auswirkungen von Gummiverschleiß auf Umwelt und Gesundheit präzise zu erfassen. Unter Koordination des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF wird eine technische Plattform entwickelt, mit der sich Reifenmaterialien systematisch unter Laborbedingungen testen lassen.
Teststand simuliert realitätsnahe Reibbedingungen
Im Zentrum des Projekts steht eine spezielle Abriebvorrichtung, die definierte Reibprozesse und mechanische Belastungen reproduzierbar darstellt. So lassen sich unterschiedlich zusammengesetzte Reifenmischungen unter identischen Bedingungen prüfen. Dies ermöglicht einen objektiven Vergleich ihrer Verschleißeigenschaften und erleichtert die gezielte Materialoptimierung hinsichtlich eines geringeren Partikelausstoßes.
Für Entwickler und Materialhersteller bedeutet das eine fundierte Basis, um zukünftige Reifengenerationen frühzeitig an die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen anzupassen.
Gummipartikel und ihre Umweltwirkungen im Labor analysiert
Neben der rein physikalischen Erzeugung des Abriebs liegt ein besonderer Fokus auf der Untersuchung der chemischen und biologischen Eigenschaften der freigesetzten Partikel. Hierzu werden verschiedene Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung, Feuchtigkeit oder Temperatur in Laborbewitterungstests nachgestellt. Ziel ist es, das Verhalten des Abriebs in realitätsnahen Szenarien besser zu verstehen – insbesondere seine Rolle als Quelle für Mikroplastik und Feinstaub.
Die Analyseverfahren sollen zudem klären, in welchem Umfang sich Gummipartikel zersetzen oder in Umweltmedien wie Wasser und Boden eintragen. Diese Informationen fließen in toxikologische Bewertungen ein, die für die Bewertung neuer Reifenmischungen immer wichtiger werden.
KI-gestützte Analyseverfahren liefern Partikelprognosen
Ein weiterer Baustein des Projekts ist die Entwicklung intelligenter Sensorlösungen zur automatisierten Erfassung und Auswertung von Partikeln. Hier bringt das Fraunhofer IGD seine Kompetenz in der visuellen Datenverarbeitung ein. Mithilfe von künstlicher Intelligenz können die Form, Größe und Verteilung von Abriebpartikeln analysiert und in Bezug zu den eingesetzten Materialien gesetzt werden.
Die so gewonnenen Daten bilden die Grundlage für Simulationen auf Flottenebene. Dabei werden unterschiedliche Fahrzeugtypen, Nutzungsprofile und Fahrbedingungen berücksichtigt, um eine möglichst exakte Vorhersage der zu erwartenden Emissionen im Straßenverkehr zu ermöglichen.
Fachübergreifende Zusammenarbeit für praxisnahe Ergebnisse
Beteiligt an TERIS sind vier Fraunhofer-Institute mit klar verteilten Aufgabenfeldern: Das LBF übernimmt die Entwicklung des Testsystems sowie die Umweltbewitterung, das ICT verantwortet die Charakterisierung des Abriebs und Emissionsprognosen, das IGD entwickelt KI-gestützte Sensorlösungen, und das IWM analysiert Reibstrukturen sowie Verschleißmechanismen. Die enge Zusammenarbeit vereint Materialwissenschaft, Simulation, Umwelttechnik und Sensorik unter einem Dach.
Durch diese interdisziplinäre Struktur wird ein umfassender Ansatz geschaffen, der sämtliche Stufen von der Materialentwicklung über die Prüfung bis hin zur Emissionsprognose integriert. So lassen sich gezielt Maßnahmen entwickeln, um die Umweltbelastung durch Reifenverschleiß langfristig zu senken.
Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse richten sich vor allem an Reifenhersteller, Kautschuk-Verarbeiter, Fahrzeugproduzenten sowie Prüflabore und Zertifizierungsstellen. Für diese Zielgruppen entsteht ein fundiertes Werkzeug zur Bewertung neuer Materialien und Produkte im Hinblick auf deren Umweltwirkung. Gleichzeitig leistet TERIS einen Beitrag dazu, künftige gesetzliche Anforderungen im Vorfeld systematisch abbilden und erfüllen zu können.
Die Kombination aus praxisnaher Prüftechnik, datenbasierter Analyse und ökologischer Bewertung macht das Projekt zu einem wichtigen Schritt hin zu emissionsärmeren Mobilitätslösungen.
Herausforderungen für Werkstätten und Fahrzeugflottenbetreiber
Mit dem Inkrafttreten der Euro-7-Norm und der darin enthaltenen Grenzwerte für Reifenabrieb entstehen auch für Betreiber größerer Fahrzeugflotten neue Herausforderungen. Instandhaltungsstrategien müssen angepasst und Reifen gezielt nach Abriebverhalten ausgewählt werden. Das Projekt TERIS liefert durch die Einbindung in Flottenmodelle wertvolle Erkenntnisse über Emissionsmengen unter verschiedenen Einsatzbedingungen – etwa im städtischen Lieferverkehr oder bei Langstreckenfahrzeugen. Werkstätten und Fuhrparkbetreiber können künftig auf fundierte Vergleichsdaten zugreifen, um Reifen mit geringerer Umweltbelastung gezielt einzusetzen und gleichzeitig den Wartungsaufwand zu optimieren.
Für Materialentwickler in der Gummi- und Elastomerbranche stellt die TERIS-Plattform ein Werkzeug dar, um neuartige Reifenmischungen systematisch auf Abriebsverhalten und Umweltverträglichkeit zu prüfen. Durch die standardisierte Testmethodik lassen sich Rezepturen schon frühzeitig im Entwicklungsprozess anpassen. Die Kombination aus mechanischer Prüfung, chemischer Analyse und ökotoxikologischer Bewertung schafft eine transparente Grundlage für Entscheidungen in der Produktentwicklung. Dies beschleunigt nicht nur die Marktreife neuer Materialien, sondern verbessert auch deren Rückverfolgbarkeit hinsichtlich Umweltwirkungen und Lebensdauer.
Fazit
Mit dem Projekt TERIS entsteht eine praxisorientierte Plattform, die alle wesentlichen Aspekte des Reifenabriebs systematisch erfasst – von der materialtechnischen Analyse bis zur ökologischen Bewertung. Die Kombination aus standardisierten Laborverfahren, KI-gestützter Partikelanalyse und simulationsbasierter Emissionsprognose bietet der Industrie erstmals ein Werkzeug, das über einzelne Prüfverfahren hinausgeht. Reifenhersteller, Zulieferer und Fahrzeugentwickler erhalten dadurch belastbare Daten, um Reifenmaterialien gezielt auf Umweltverträglichkeit und Abriebverhalten hin zu optimieren. Gleichzeitig schafft TERIS die Grundlage für zukünftige Normen und Prüfstandards, die sowohl regulatorischen Anforderungen als auch praktischen Einsatzbedingungen gerecht werden. In einer Zeit zunehmender Umweltauflagen liefert das Projekt damit einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen Ausrichtung der Mobilität. Quelle: Fraunhofer-Institut