Aus Sicht des GVA adressiert der Entwurf zwar den Zielkonflikt zwischen offenen Reparaturinformationen und steigenden Cybersicherheitsanforderungen, lässt jedoch an entscheidenden Stellen Präzision vermissen. Besonders relevant ist die vorgesehene Autorisierung von Ersatzteilen durch Fahrzeughersteller, die erhebliche Auswirkungen auf Marktstrukturen und technische Abläufe haben könnte.
Bedeutung des delegierten Rechtsaktes für den freien Kfz-Ersatzteilmarkt
Die in Europa geltende Typgenehmigungsverordnung bildet den regulatorischen Rahmen für den Zugang zu technischen Informationen von Kraftfahrzeugen. Unabhängige Marktteilnehmer sichern einen flächendeckenden Reparatur- und Wartungsbetrieb für rund 55 Millionen Fahrzeuge in Deutschland. Der freie Teilevertrieb umfasst dabei überwiegend markenspezifische Anwendungen, deren Wettbewerb maßgeblich von der Gleichbehandlung im Daten- und Informationszugang abhängt.
Der Entwurf der EU-Kommission zur Anpassung von Anhang X wird grundsätzlich begrüßt, da er das Spannungsfeld zwischen Datensicherheit und diskriminierungsfreiem Zugang adressiert.
Gleichzeitig entsteht an zentralen Stellen ein strukturelles Risiko: Die vorgesehene Kategorie:
„vom Hersteller autorisierte Ersatzteile“
etabliert einen bislang nicht existenten Mechanismus, bei dem die technische Inbetriebnahme eines Ersatzteils von einem Autorisierungsschritt des Herstellers abhängt.
Dieser Vorgang ist weder definiert noch durch objektive Kriterien gestützt. Damit besteht die Gefahr, dass Hersteller über die Gestaltung des Autorisierungsprozesses unmittelbar beeinflussen können, welche Ersatzteile funktionsfähig sind und welche nicht. Eine solche Abhängigkeit würde das bisherige Wettbewerbsgefüge verschieben und freien Anbietergruppen die Marktgrundlage entziehen.
Auswirkungen der Ersatzteil-Autorisierung auf Wettbewerb und Reparaturpraxis
Die Integration moderner Ersatzteile setzt häufig digitale Anmeldung, Codierung oder Decodierung voraus. Dieser Vorgang entscheidet über die Inbetriebnahmefähigkeit eines Bauteils und damit über die Reparaturqualität. Der Entwurf verweist mehrfach auf Prozesse wie variant coding und pairing to a vehicle, die eindeutig herstellerseitig definierte digitale Schritte darstellen.
Im Gegensatz zur bisherigen Systematik enthält die Typgenehmigungsverordnung keine durch den Hersteller kontrollierte Zulassung von Ersatzteilen. Durch die Formulierung
„vehicle manufacturer authorized replacement part“
entsteht faktisch eine technische Marktzugangsschranke. Freie Ersatzteile können dadurch unbrauchbar werden, obwohl sie technisch geeignet sind.
Ein unangepasster Autorisierungsprozess hätte folgende Auswirkungen:
- Einschränkung des freien Wettbewerbs durch exklusiven Herstellerzugriff
- Abhängigkeit von proprietären digitalen Vorgaben und Serverstrukturen
- Wegfall von Alternativteilen und reduzierter Teilevielfalt
- Zunahme der Reparaturkosten und Einschränkung wirtschaftlicher Mobilität
- Verlust technologischen Know-hows unabhängiger Hersteller, die heute rund 80 % der Komponenten eines Fahrzeugs fertigen
Die Folge wäre eine strukturelle Marktverengung, die der gesetzlichen Zielsetzung der Typgenehmigungsverordnung widerspricht.
Cybersicherheit, Diagnosetechnik und Abhängigkeit von Serverinfrastrukturen
Die UNECE-Regelungen Nr. 155 und 156 stellen neue Anforderungen an Cybersecurity und Software-Update-Management. Die Überarbeitung von Anhang X versucht, diese Vorgaben mit dem Anspruch eines diskriminierungsfreien Informationszugangs zu verbinden.
Für unabhängige Werkstätten und Mehrmarken-Diagnosegerätehersteller ergeben sich daraus mehrere Abhängigkeiten:
- Kontinuierlicher Zugriff auf Hersteller-Server zur Authentifizierung
- Verfügbarkeit für Codierungsvorgänge und Software-Updates
- Bereitstellung sicherheitsrelevanter Datenstrukturen und Prüfroutinen
- Integration von Sicherheitsmechanismen in Diagnosetools
Jede Serverunterbrechung beeinträchtigt die Servicefähigkeit unabhängiger Anbieter unmittelbar. Ein Rahmen für maximal zulässige Wartungszeiten ist daher sinnvoll und notwendig. Der vorgeschlagene Satz zur Gleichbehandlung bei Serverausfällen („… shall not exceed the period applicable to the manufacturers’ own servers“) schafft Transparenz und verhindert funktionale Benachteiligungen.
Anforderungen an Datenzugang und DSGVO-Konformität
Der Entwurf enthält eine Reihe neuer Definitionen und Verweise, die im Zusammenspiel mit den Vorgaben der DSGVO rechtlich klar gefasst werden müssen. Die aktuelle Fassung erweckt den Eindruck eines Vetorechts der betroffenen Personen gegen datengestützte Vorgänge der Typgenehmigungsverordnung, was weder dem Wortlaut noch der Struktur der DSGVO entspricht.
Die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Rs. C-319/22) verdeutlicht, dass verpflichtende Datenübermittlungen im Rahmen sektoraler Vorschriften auf Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO beruhen. Eine präzise Formulierung des Erwägungsgrundes ist daher unerlässlich, um Rechtsklarheit zu gewährleisten und Fehldeutungen auszuschließen.
Mehrere Querverweise im Entwurf sind fehlerhaft und müssen berichtigt werden, da sie die Auslegung der Anforderungen an Nachverfolgbarkeit, Cybersicherheit und Zugangsdaten beeinflussen. Dies betrifft insbesondere die Abschnitte in Anhang X – Anlage 4, in denen fälschlicherweise auf Punkt 4.6 statt auf 4.5 verwiesen wird.
Zusätzlich ist eine Präzisierung zu Punkt 2.9 erforderlich, damit der Datenzugang während der Fahrt unter identischen Bedingungen für alle Marktteilnehmer erfolgt. Der vorgeschlagene Zusatz stellt klar, dass Hersteller dieselben Beschränkungen auch gegenüber autorisierten Partnern anwenden müssen.
Fazit
Der Entwurf des delegierten Rechtsaktes zu Anhang X stellt einen wichtigen Schritt für die Harmonisierung von Datenzugang, Cybersicherheit und Diagnoseprozessen dar. Gleichzeitig entstehen neue strukturelle Risiken für den freien Kfz-Aftermarket, vornehmlich durch nicht definierte Autorisierungsprozesse für Ersatzteile. Ohne transparente Kriterien, klare Fristen, vollständige Wettbewerbsneutralität und konsequente Überwachung droht eine Marktverengung, die die Versorgungssicherheit unabhängiger Reparaturbetriebe beeinträchtigt. Eine weitergehende Überarbeitung der Typgenehmigungsverordnung selbst erscheint notwendig, um langfristig faire und diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Quelle: GVA

