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Neue Ära im Aftermarket: Das EuGH-Urteil ebnet den Weg

Veröffentlicht am 09.10.2023

Es ist eine Entscheidung, die den Kfz-Servicemarkt in Europa prägen könnte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich jüngst in einem Fall positioniert, der das Potenzial hat, die Landschaft des Kfz-Aftermarkets grundlegend zu verändern. Doch welche Implikationen hat dieses Urteil für die Branche und was bedeutet es für Verbraucher?


Beseitigung technischer und finanzieller Hürden

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) heute stellt sicher, dass unabhängige Kfz-Dienstleister direkten Zugang zu notwendigen Fahrzeuginformationen erhalten, ohne durch spezielle Sicherheitstore bzw. „Secure Gateways“ gehen zu müssen. Diese Entscheidung betont die Relevanz eines ausgewogenen Wettbewerbsumfelds im Bereich der Kfz-Dienstleistungen und den Nutzen, den es den Verbrauchern bringt.

Seit Jahren versuchen Fahrzeughersteller, den Zugriff auf technische Daten ihrer Fahrzeuge zu limitieren. Mittels technischer Barrieren und Lizenzgebühren wurde der Zugang zu diesen essentiellen Fahrzeugdaten kontrolliert und reguliert. Diese Strategie führte zu einem ungleichen Wettbewerbsumfeld, auf dem unabhängige Kfz-Serviceanbieter benachteiligt waren. Mit solchen Maßnahmen wurde der Aftermarket-Wettbewerb beschnitten und die Kosten für Dienstleister in diesem Bereich erhöht.

Dank der Initiative der Werkstattkette ATU und Carglass® wurde diese Thematik auf rechtlicher Ebene angegangen. Durch ihre Klage gegen Fiat Chrysler wurde eine Debatte angestoßen, die weitreichende Konsequenzen für den gesamten europäischen Aftermarket haben könnte. Lars Heyne, Geschäftsführer Transformation bei ATU, kommentiert:

„Wir begrüßen die Entscheidung des EuGH sehr. Das Urteil schafft EU-weit Rechtssicherheit und stärkt den freien Wettbewerb zugunsten aller unabhängigen Marktteilnehmer im Kfz-Service. Die wahren Gewinner sind die Verbraucher, die weiterhin ihre Werkstatt frei wählen können.“

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Die Rolle der Cybersicherheit

In der heutigen Zeit, in der Daten zu einem der wertvollsten Güter geworden sind, sind Bedenken hinsichtlich der Cybersicherheit berechtigt. Fahrzeughersteller argumentierten, dass ihre Schutzmaßnahmen notwendig seien, um die Sicherheit und Integrität der Fahrzeugdaten zu gewährleisten. Doch der EuGH hat klargestellt, dass während die Cybersicherheit wichtig ist, sie nicht als Vorwand verwendet werden kann, um den unabhängigen Kfz-Aftermarket einzuschränken. Es ist ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Wettbewerb erforderlich.

Der europäische Kontext: Ein Urteil mit weitreichenden Auswirkungen

Das jüngste EuGH-Urteil ist nicht das erste seiner Art. Es folgt auf frühere Entscheidungen, die den Zugang zu Fahrzeugdaten betreffen. Das Urteil betont erneut die Notwendigkeit eines offenen Zugangs zu technischen Informationen für legitime Akteure. Es stellt sicher, dass Fahrzeughersteller keine zusätzlichen Hürden auferlegen können, die nicht ausdrücklich in den relevanten EU-Vorschriften vorgesehen sind.

Dieses Urteil setzt einen Präzedenzfall, der als Leitfaden für zukünftige Entscheidungen und für die Praktiken von Fahrzeugherstellern in der gesamten EU dienen wird. Es sendet ein klares Signal an den Markt: Wettbewerbsbeschränkungen, die nicht im besten Interesse der Verbraucher sind, werden nicht toleriert.

Das Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich auf die Auslegung bestimmter Artikel der Verordnung (EU) 2018/858, die die Genehmigung und Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und zugehörigen Komponenten regelt.

  1. Ein uneingeschränkter Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen ist für den Binnenmarkt notwendig, um einen fairen Wettbewerb sicherzustellen. Insbesondere müssen Informationen auch unabhängigen Marktteilnehmern zugänglich gemacht werden.
  2. Definitionen relevanter Begriffe werden gegeben: „EU-Typgenehmigung“ bezieht sich auf das Verfahren, das bestätigt, dass ein Fahrzeugtyp den Anforderungen der Verordnung entspricht. „Hersteller“ ist die Person, die für alle Aspekte der Typgenehmigung eines Fahrzeugs verantwortlich ist. „unabhängiger Wirtschaftsakteur“ ist eine Person oder Einrichtung, die nicht direkt mit dem Fahrzeughersteller verbunden ist, aber an der Wartung und Reparatur von Fahrzeugen beteiligt ist. „Reparatur- und Wartungsinformationen“ umfassen alle für die Diagnose, Instandhaltung und Reparatur eines Fahrzeugs benötigten Informationen.
    Laut Artikel 61 müssen Hersteller unabhängigen Wirtschaftsakteuren Zugang zu Fahrzeug-OBD Informationen und Fahrzeugreparatur- und Wartungsinformationen in einem maschinenlesbaren Format gewähren.
  3. Dabei wird die Verordnung (EG) Nr. 661/2009 erwähnt, die die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen in Bezug auf ihre Sicherheit regelt.
  4. Es gibt klare Vorgaben, wie der Zugriff auf Fahrzeuginformationen zu erfolgen hat, insbesondere wenn das Fahrzeug in Bewegung ist. Der Zugang zu bestimmten Sicherheitsmerkmalen muss sowohl für Vertragshändler als auch für unabhängige Akteure gewährleistet sein.
  5. Es gibt bestimmte Standards und Protokolle, nach denen die Reprogrammierung von Steuergeräten und die Kommunikation mit Fahrzeugen erfolgen muss.
  6. Hersteller müssen sicherstellen, dass Fahrzeuge so konstruiert sind, dass die Verletzungsgefahr für Insassen und andere Verkehrsteilnehmer minimiert wird.
  7. Softwareänderungen können erhebliche Auswirkungen auf die Fahrzeugfunktionen haben. Daher sollten harmonisierte Regeln und technische Anforderungen festgelegt werden. Das Ziel ist es, die Sicherheit zu gewährleisten, ohne den Zugang zu wichtigen Diagnoseinformationen und Fahrzeugdaten zu beeinträchtigen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof für Recht erkannt:

Art. 61 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit Anhang X der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Fahrzeughersteller den Zugang unabhängiger Wirtschaftakteure zu Fahrzeugreparatur- und ‑wartungsinformationen sowie zu Informationen des On-Board-Diagnosesystems, einschließlich den Schreibzugriff für diese Informationen, von anderen Voraussetzungen als von den in der Verordnung bestimmten abhängig macht.

Lesen Sie die komplette Urteilsverkündung hier: ATU und Carglass gegen FCA Italy

Zukunft des Kfz-Aftermarkets

Mit der wachsenden Komplexität moderner Fahrzeuge wird der Zugang zu technischen Daten immer wichtiger. Fahrzeuge sind heutzutage mit einer Vielzahl von Sensoren und computergesteuerten Systemen ausgestattet. Um effektive Reparatur- und Wartungsdienste anbieten zu können, benötigen Serviceanbieter Zugang zu diesen Daten.

Dieses Urteil ebnet den Weg für Innovationen im Kfz-Aftermarket. Es ermöglicht Dienstleistern, neue und verbesserte Services anzubieten, die auf dem Zugriff und der Analyse technischer Daten basieren. Von vorausschauender Wartung bis hin zu maßgeschneiderten Dienstleistungen, die Möglichkeiten sind endlos.

Es ist auch ein Sieg für Verbraucher in ganz Europa. Mit mehr Wettbewerb im Markt können Verbraucher von besseren Preisen, höherer Qualität und einer größeren Auswahl an Dienstleistungen profitieren.


Ein Wendepunkt für den europäischen Kfz-Service

Dieses Urteil markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Kfz-Aftermarkets in Europa. Es stellt die Weichen für einen Markt, der von Fairness, Wettbewerb und Innovation geprägt ist. Während die unmittelbaren Auswirkungen dieses Urteils noch gesehen werden müssen, steht außer Frage, dass es den Weg für eine neue Ära im Kfz-Service ebnen wird. HAR / Q: ATU, Carglass, EUGH, Bild: Fiat

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