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Was braucht der Mobilitätsdatenmarkt?

Veröffentlicht am 17.01.2019

Was braucht der Mobilitätsdatenmarkt der Zukunft?

Daten im Fahrzeug sind unentbehrlich. Sie sorgen für die Auslösung des Airbags, für die Warnung vor dem Einnicken am Steuer, informieren über Reifendruck oder Reichweite, steuern Fahrerassistenzsysteme, Rückfahrkamera bis zum kompletten autonomen Fahren: Sensoren zur Datenerfassung sind aus modernen Pkw nicht mehr wegzudenken. Gab es lange keine andere Verwendung als die Durchführung von Diagnose und Wartung des Pkw, ist das Fahrzeug heute längst ein Computer auf vier Rädern – voll mit Sensoren, die stündlich bis zu 10 Gigabyte an Daten produzieren. Daten aus vernetzten Fahrzeugen bilden auch die Grundlage für viele zukünftige Mobilitätsdienste. Welche Daten benötigt der Mobilitätsdatenmarkt und welche Anforderungen stellt der Markt für heute und morgen? Dies haben der unabhängige Datenmarktplatz Caruso und das Fraunhofer IESE unter der Schirmherrschaft der CLEPA (European Association of Automotive Suppliers) in einer Studie Vehicle Data – Digital Fuel for the Connected Car Economy ermittelt: Die Ergebnisse sind spannend, werfen aber auch ein bezeichnendes Licht auf die technologischen Herausforderungen, mit der sich die Automotive-Branche auseinandersetzen muss. Dr. Jens Knodel (Caruso), Eduard C. Groen (Fraunhofer IESE) und Dr. Matthias Naab (Fraunhofer IESE) geben einen Einblick in die Studie.


Das Fahrzeug ist zu einem wichtigen Knotenpunkt im Internet der Dinge geworden, das mit der Infrastruktur und anderen Fahrzeugen kommuniziert, um alltägliche Probleme wie Verkehrsunfälle oder Staus zu vermeiden, leichter den nächsten freien Parkplatz zu finden oder die Flotte von Carsharing-Dienstleistern managen zu können. Die Anzahl der Sensoren im Fahrzeug wächst weiter und damit auch das Volumen der erzeugten Daten – was die Automobilbranche derzeit enorm verändert und einen neuen Mobilitätsdatenmarkt schafft.

Derweil steigt die Anzahl vernetzter Fahrzeuge sehr schnell. War ihr Bestand noch 2015 mit 9 % eher marginal, wird er bis 2020 voraussichtlich auf 49 % aller Fahrzeuge und bis 2025 auf ca. 70 % steigen, allein 40 % davon werden Neufahrzeuge sein. Beschleunigt wird die Entwicklung unter anderem durch die seitens der EU vorgeschriebene eCall-Funktion, die eine Konnektivität des Fahrzeugs voraussetzt sowie durch eine steigende Nachfrage nach Nachrüstlösungen zur Nutzung aufkommender Mobilitätsdienste. In der Data-Driven Economy eröffnen vernetzte Fahrzeuge einen enormen Markt für innovative Geschäftsmodelle und Services rund um Mobilität.

Fahrzeugdaten: Eckpfeiler der Zukunft

Daten aus vernetzten Fahrzeugen bilden die Grundlage für viele zukünftige Mobilitätsdienste. Viele Unternehmen, darunter Fahrzeughersteller und Mobilitätsdienstleister, verstehen zunehmend, dass ihre Daten für andere Unternehmen von Interesse sind und dass der Verkauf von Daten Gewinne steigern kann, während Datenkonsumenten käuflich erworbene Daten und Services für die Erweiterung ihres Leistungsportfolios nutzen können. Dabei sind Daten aus allen Phasen des Lebenszyklus des Fahrzeugs interessant. Anwendungsfälle in der Mobilität beschränken sich nicht nur auf Reparatur und Wartung oder den Vertrieb von Reparatur- und Wartungs-Informationen sowie Teileversorgung, sondern reichen bis in Handel, Flottenmanagement, Leasing und Versicherung. Fahrzeugdaten werden damit zu einem Eckpfeiler der Zukunft.

Diese Entwicklung wird disruptive Geschäftsmodelle weiter befördern. Wesentlich wird sein, dass der Zugriff auf die Daten aus dem vernetzten Fahrzeug nicht auf die Hersteller beschränkt ist. Im Sinne eines fairen Wettbewerbs müssen alle Marktteilnehmer Zugang zu Daten haben. Aus diesem Grund hat Caruso bereits 2017 den ersten Schritt zur Datenharmonisierung unternommen. Der Datenkatalog, der dem unabhängigen Datenmarktplatz Caruso zugrunde liegt, ist ein erster Schritt in Richtung Harmonisierung von Daten von unterschiedlichen Anbietern und Quellen. Der B2B-Marktplatz für Daten und Dienstleistungen ist der Vermittler von Daten zwischen Datenanbieter und Datenkonsumenten. Die „Delivery Engine“ von Caruso sorgt dafür, dass Daten wie „Kilometerstand des Fahrzeugs mit der VIN XYZ ist 10,382“ vom Datenanbieter an den Datenkonsumenten gelangen kann. Der „Marketplace“ ermöglicht es, dass Angebote, Anfragen und der Ankauf von Daten nutzerfreundlich und gesetzeskonform vonstattengehen kann.

Dem Datenmarktplatz von Caruso liegt ein Datenkatalog zugrunde, der die Datenpunkte systematisch und hierarchisch in Kategorien strukturiert. Dieser Datenkatalog ist der derzeit einzige seiner Art weltweit: Er bietet eine einheitliche Beschreibung aller Datenpunkte, die im Moment als mobilitätsrelevant gelten, darunter Daten rund um das Fahrzeug selbst („Vehicle Information“) wie Marke und Modell, Fahrzeugklasse und deren Eigenschaften, die Bezeichnung von Teilen und Komponenten, Reparatur- und Wartungs-Informationen (RMI), Preisinformationen sowie Logistikdaten. Darüber hinaus beinhaltet der Caruso-Katalog Daten aus vernetzten Fahrzeugen („In-Vehicle Data“). Die Daten stammen entweder unmittelbar aus einem Fahrzeug, aus einem Dongle oder sogar von einem Smartphone. Die Übertragung verläuft entweder über ein Dongle oder über eine eingebaute Netzverbindung zum Backend eines Herstellers oder Dienstleisters. Caruso bezieht die Daten jeweils aus diesen Backends von Herstellern oder Dienstleistern.

Diese Datenpunkte stellen Informationen über den Zustand des Fahrzeugs oder seiner Umgebung, Trace-Daten von Ereignissen innerhalb oder mit Beteiligung des Fahrzeugs sowie historische Ereignisse dar. Außerdem beinhaltet der Caruso-Datenkatalog weitere prozessbezogene Daten wie die übliche Dauer für einen bestimmten Teileaustausch („Process Data“), die von verschiedenen Geschäftsbereichen aus der Automobilbranche stammen.

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 Eine Studie zu den Datenbedarfen für Mobilitätsservices

Derzeit beinhaltet der Caruso-Datenkatalog allein 476 Datenpunkte aus dem vernetzten Fahrzeug, vor Beginn der Studie waren es 301. Aber entsprechen sie dem Bedarf des Mobilitätsdatenmarkts der Zukunft? Welche Relevanz haben sie tatsächlich für die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle? Denn je nach Kontext, Anwendungsfall und Branche kann ein Unternehmen durchaus abweichende Perspektiven auf bestimmte Datenpunkte haben.

Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, hat Caruso 2017 das Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering IESE mit der Durchführung einer Studie beauftragt. Die Experten für Software-Ökosysteme, User Experience, Softwarearchitektur und Datensicherheit sind seit 2016 ein wichtiger technisch-strategischer Partner von Caruso. Ziel der Studie war es, einen repräsentativen Überblick über den aktuellen Bedarf an Datenpunkten aus dem vernetzten Fahrzeug zu erhalten sowie darüber, welche Daten die Akteure des Mobilitätsdatenmarktes besonders priorisieren und welche Formate gewünscht sind. Darüber hinaus ging es um einen Einblick, wie häufig „In-Vehicle-Data“ aktualisiert werden sollten.

Zu den befragten Unternehmen zählten Akteure aus der Automobilbranche, darunter Mitglieder der CLEPA sowie andere Partner von Caruso. Mittels eines Fragebogens konnten Unternehmen ihre Erfahrungen zum Datenbedarf sowie konkrete Anforderungen in Bezug auf Priorisierung, Datenqualität und gewünschte Aktualisierungsfrequenz formulieren. Die Experten von Fraunhofer IESE erstellten diesen Fragebogen, führten die Umfrage durch und analysierten die Ergebnisse. Darüber hinaus stellten sie die Anonymisierung, Vertraulichkeit und Integrität der Daten sicher und dokumentierten die Ergebnisse der Studie. Der Fragebogen war so konzipiert, dass die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle nicht offenlegen mussten.

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie: Alle 301 Datenpunkte des Caruso-Katalogs wurden von mindestens einem Befragten als notwendig bezeichnet, meistens sogar von mehrere Firmen. Kein Datenpunkt des Caruso-Katalogs wurde als irrelevant klassifiziert. Insgesamt gab es je nach Unternehmen starke Unterschiede in der Anzahl priorisierter Datenpunkte, was angesichts der sehr unterschiedlichen Anwendungsfälle nicht verwunderlich ist. Die Top 3 der wichtigsten Daten, die die Akteure forderten, waren „Aktuelle Fahrzeug-Geschwindigkeit“, „Fahrzeug-Beschleunigung“ und „Aktueller Kilometerstand“. Insgesamt waren die Befunde insofern überraschend, als dass Experten in Gesprächen vor der Studie stets eher einen kleinen Teil von Datenpunkten nannten, während in der Studie ein sehr breites Interesse an deutlich mehr Datenpunkten bekundet wurde.

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Hohe Anforderungen an die Aktualisierungsfrequenz

Erstaunlich detailliert und anspruchsvoll waren die Anforderungen in der Frage der gewünschten Datenaktualisierungs-Frequenz, die für mehr als 80 % der Datenpunkte formuliert wurden, allen voran für die Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung des Fahrzeugs sowie aktuellem Kilometerstand und Batteriestatus. 36 % der Daten sollten, so der Wunsch der Studienteilnehmer, innerhalb von weniger als einer Sekunde oder oft deutlich häufiger aktualisiert werden, wenn bestimmte Ereignisse wie die Änderung von Einstellungen oder eine bestimmte Art von Fahrzeug(in)aktivität eintreten.

Die Ergebnisse lassen darüber hinaus die Vermutung zu, dass sich viele Unternehmen eher hohe Datenaktualisierungs-Frequenzen wünschen, um auf der sicheren Seite zu sein, auch wenn es aktuelle Geschäftsmodelle und Anwendungsfälle vielleicht nicht unmittelbar erfordern. Klar ist, dass eine Bereitstellung von Daten aus dem Fahrzeug innerhalb von Millisekunden oder auch innerhalb weniger Sekunden aufgrund der Schnittstellen und Zwischensysteme, durch die der Datenpunkt geleitet wird, technisch anspruchsvoll ist und jede Schnittstelle – ob Hersteller, Caruso, Dienstleister oder End-Kunde – jeweils eigene Latenzzeiten aufweist. Für 42 % der Datenpunkte wurden Anforderungen an die Datengenauigkeit geäußert, hauptsächlich in Bezug auf signifikante Zahlen, Entfernungen, Kräfte und Grade, wobei hier die Datenpunkte aus der Kategorie „Vehicle Position, Movement and Surroundings“ (Position, Bewegung und Umgebung des Fahrzeugs) im Fokus standen.

Beim Datenformat waren sich die Teilnehmer für den Großteil der Datenpunkte weitestgehend einig. Unterschiedlich waren die Anforderungen lediglich bei insgesamt 10 Datenpunkten, allen voran bei der Angabe der Fahrzeugbeschleunigung (m/s² oder g0), der aktuellen „GPS-Position & aktuelle Zeit“ (zu 10 m genau oder 6 Stellen hinter dem Komma) oder die „Zeit bis zum nächsten benötigten Ölwechsel“ (Zieldatum oder Anzahl verbleibende Tage).

Darüber hinaus forderten die Befragten weitere 125 zusätzliche Datenpunkte aus dem Fahrzeug an, darunter „Gefahrene Strecke einer Reise“ und „Akkukapazität“. Die Ergänzungen betrafen vor allem die Kategorie „Fahrzeug“ und hier den „Hardware des Antriebsstrangs“, darunter Daten rund um die Zündung, Abgasanlage, Getriebe oder Batterie.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Die Ergebnisse zeigen, dass seitens Mobilitätsdienstleistern ein hohes Interesse an einem qualitativ hochwertigen Zugang zu fahrzeugbezogenen Daten besteht. Zugleich bestätigte die Studie die hohe Marktrelevanz des Caruso-Datenkatalogs – eine gute Nachricht nicht nur für die derzeit bereits zehn Gesellschafter, sondern auch für alle Geschäftspartner, die auf der dynamisch wachsenden Plattform als Anbieter und/oder Konsumenten von Daten auftreten. Das Partnernetzwerk von Caruso wird mit weiteren potenziellen Partnern ständig ausgebaut, unter anderem natürlich auch mit Fahrzeugherstellern. Anregungen aus der Studie wie neue Anforderungen in Bezug auf das Datenformat sowie zusätzliche Datenpunkte hat Caruso bereits in die Weiterentwicklung des Marktplatzes einfließen lassen.

Mit der aktuellen Caruso-Studie Vehicle Data – Digital Fuel for the Connected Car Economy ist nicht nur klar, welche Daten für Mobilitätsdienstleister die am vielversprechendsten sind, wenn es um gewinnorientierte Anwendungsfälle geht. Erstmals wurde auch transparent, welche Aktualisierungsfrequenzen die Akteure des Mobilitätsdatenmarktes tatsächlich erwarten. Da die derzeit verfügbaren Mobilfunkverbindungen diese kurzen Latenzen nicht vollumfänglich ermöglichen, sind neue Konzepte der Datenvorverarbeitung und der Datenübertragung erforderlich. Klar ist, dass noch erhebliche technische Investitionen anstehen, um die notwendige Infrastruktur dafür zu schaffen.

Darüber hinaus dürfte an einer Open Telematics Plattform, die einen direkten Zugang zu Fahrzeugdaten („In-Vehicle Daten“) ermöglicht, kein Weg vorbeiführen. Die aktuelle Architektur des Extended Vehicle Standards (ISO 20078) verhindert zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen neutralen, unabhängigen Zugriff durch einen breiten Anwenderkreis. Nur ein Konzept der konfigurierbaren Daten(vor)verarbeitung im Fahrzeug – das es derzeit noch nicht gibt – könnte helfen, diesen Engpass zu beheben. Bis dahin dürften Unternehmen auf dem Markt für Mobilitätsdienstleistungen möglicherweise nicht in der Lage sein, bestimmte Dienstleistungen anzubieten. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Viele Anwendungsfälle, die Daten aus dem Fahrzeug benötigen, um Dienstleistungen zu erbringen oder eine technische Überwachung durchzuführen, sind auf neueste Datenwerte angewiesen. Historische Daten dagegen werden in der Regel in der Qualitätssicherung sowie bei vorausschauenden Diensten benötigt. Diese Daten werden zurzeit weder gesammelt noch bereitgestellt.

Caruso betrachtet die Ergebnisse der Studie sowohl als Beitrag zur politischen Diskussion als auch als Initialzündung zur Weiterentwicklung der B2B-Plattform, um die Plattform, also „Marketplace“ und „Delivery Engine“, auf das nächste Level zu heben. Damit leistet Caruso als neutrale Plattform einen erheblichen Beitrag für die Automotive-Branche, dass sich innovative datengetriebene Geschäftsmodelle rund um Mobilität etablieren können. Wer ebenfalls seine bisherigen Praxis-Erkenntnisse und Anforderungen rund um datengetriebene Geschäftsmodelle mit Caruso teilen will, ist herzlich willkommen.


Dr. Jens Knodel, Head of Platform Engineering, Caruso GmbH
Eduard C. Groen, Engineer, Fraunhofer IESE
Dr. Matthias Naab, Head Architecture-Centric Engineering, Fraunhofer IESE

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