Die Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde von Stellantis durch den Bundesgerichtshof (BGH) markiert einen entscheidenden Moment für den Kfz-Servicemarkt. Der Richterspruch bestätigt eindeutig, dass Fahrzeughersteller keine zusätzlichen Hürden oder Bedingungen für den Zugang zu Reparatur- und Wartungsdaten schaffen dürfen. Für unabhängige Kfz-Werkstätten (also für Kfz-Werkstätten ohne ein Franchise System eines Fahrzeugherstellers) bedeutet die Entscheidung einen klaren rechtlichen Durchbruch: Der uneingeschränkte Datenzugang freier Werkstätten ist nun auch in Deutschland höchstrichterlich verankert.
Klare Rechtslage für den Zugang zu Fahrzeugdaten
Der Bundesgerichtshof hat die Beschwerde von Stellantis gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Köln zurückgewiesen und damit die nationale Umsetzung der EU-Verordnung 2018/858 bekräftigt. Diese Verordnung schreibt vor, dass Hersteller unabhängigen Marktteilnehmern den gleichen Zugang zu technischen Informationen gewähren müssen wie autorisierten Betrieben.
Mit der Entscheidung ist endgültig bestätigt, dass Beschränkungen des Datenzugangs, etwa über spezielle Sicherheitsfreigaben oder kostenpflichtige Schnittstellen, gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen.
Die Karlsruher Richter stützen sich in ihrer Begründung ausdrücklich auf das EuGH-Urteil vom 5. Oktober 2023 (C-296/22), in dem klargestellt wurde, dass die Fahrzeughersteller keine zusätzlichen Bedingungen für den Datenzugriff festlegen dürfen. Damit wurde der Versuch, den Fall erneut dem EuGH vorzulegen, von Stellantis ohne Erfolg unternommen.
Bedeutung für Wettbewerb und Verbraucherrechte
Die Entscheidung ist ein bedeutendes Signal für den europäischen Kfz-Servicemarkt. Sie stellt sicher, dass freie Werkstätten weiterhin konkurrenzfähig bleiben und Fahrzeugbesitzer ihre Werkstatt frei wählen können.
Der freie Wettbewerb wird dadurch gestärkt, da unabhängige Betriebe nicht mehr von herstellerspezifischen Systemen oder proprietären Softwarelösungen abhängig sind.
Belron, zu dem auch Carglass Deutschland gehört, bezeichnete das Urteil als Meilenstein für gleiche Wettbewerbsbedingungen. Die Entscheidung bestätigt, dass der Datenzugang ein zentrales Element für Reparaturen moderner Fahrzeuge ist – insbesondere im Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten Systemen und Rekalibrierungen von Fahrerassistenzsystemen (ADAS).
Auch für Verbraucher bringt das Urteil Vorteile: Die Preisgestaltung bleibt transparent, und der Zugang zu qualitativ hochwertigen Reparaturleistungen wird durch den Erhalt eines vielfältigen Servicenetzes gesichert.
[Video] EuGH-Urteil: Keine Secure Gateways mehr
Auswirkungen auf Werkstätten und Ersatzteilmarkt
Für freie Werkstätten schafft das Urteil eine stabile rechtliche Grundlage. Der uneingeschränkte Zugang zu Fahrzeugdaten über die OBD-Schnittstelle ist künftig nicht mehr angreifbar. Werkstätten können notwendige Diagnosen und Kalibrierungen ohne Umwege durchführen und sich auf einen rechtskonformen Datenfluss verlassen.
Im Ersatzteilmarkt stärkt die Entscheidung die Position unabhängiger Anbieter, da Reparatur- und Wartungsinformationen ein wesentlicher Bestandteil moderner Fahrzeugwartung sind. Gleichzeitig werden digitale Geschäftsmodelle wie Remote-Diagnosen oder softwaregestützte Kalibrierungen rechtlich abgesichert.
IT-Sicherheitsaspekte bleiben dennoch relevant. Die Gerichte haben betont, dass der Schutz der Cybersicherheit weiterhin gewährleistet sein muss – jedoch nicht als Vorwand genutzt werden darf, um den freien Zugang zu beschränken. Eine Balance zwischen Datensicherheit und Marktzugang ist damit rechtlich festgelegt.
Wirtschaftliche Stabilität für den Aftermarket
Die wirtschaftliche Bedeutung des Urteils ist erheblich. In Europa hängt ein großer Teil der Beschäftigung im Kfz-Service- und Ersatzteilsektor von einem fairen Marktzugang ab. Laut Branchenverbänden sichert der unabhängige Aftermarket mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze und trägt wesentlich zur regionalen Wertschöpfung bei.
Durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs werden Investitionen in Diagnosetechnik, Schulung und Digitalisierung planbarer. Werkstätten können langfristig kalkulieren, da rechtliche Risiken durch Datenbeschränkungen entfallen. Das stärkt die Innovationskraft mittelständischer Betriebe, die auf eine offene Dateninfrastruktur angewiesen sind.
Auch der Großhandel profitiert: Ein transparenter Datenzugang fördert den Wettbewerb bei Ersatzteilen, verkürzt Beschaffungszeiten und erleichtert die Integration digitaler Teilekataloge in bestehende Systeme.
Fazit
Das Urteil des Bundesgerichtshofs schafft Klarheit in einem langjährigen Streit um den Zugang zu Fahrzeugdaten. Freie Werkstätten, Ersatzteilhändler und Dienstleister können sich künftig auf ein rechtssicheres Umfeld verlassen. Die Entscheidung stärkt den fairen Wettbewerb und die Wahlfreiheit der Verbraucher und markiert einen wichtigen Schritt hin zu einem offenen, innovationsfreundlichen europäischen Kfz-Servicemarkt.
Belron und andere Branchenvertreter sehen darin einen wegweisenden Erfolg für die gesamte Aftermarket-Branche – ein Urteil, das die Weichen für ein faires und digitales Servicenetz der Zukunft stellt. Quelle: Carglass