Im Rahmen des Automotive Talk Köln gab Sebastian Bleser, Vice President Supply Chain bei Autodoc, Einblicke in die strategischen Grundlagen der Teilelogistik im Aftermarket. Mit über 6,7 Millionen Artikeln im Sortiment stellt Autodoc eindrucksvoll unter Beweis, warum Vielfalt allein nicht mehr genügt und wie ein digitalisiertes, modular aufgebautes Fulfillment-Modell Wettbewerbsvorteile schafft.
Der Longtail im Teilemarkt wird zum zentralen Problem
Mit rund 6,7 Millionen verfügbaren Artikeln gehört das Sortiment von Autodoc zu den größten im europäischen Aftermarket. Dennoch wächst die Kluft zwischen Verfügbarkeit und Bedarf. Der Grund liegt im zunehmenden Longtail: Während Schnelldreher wie Bremsbeläge, Ölfilter oder Wischerblätter gut planbar und hochfrequent nachgefragt werden, wächst die Anzahl an Artikeln mit geringer, aber dennoch relevanter Nachfrage kontinuierlich.
Am Beispiel VW Golf zeigt sich die Entwicklung besonders deutlich: Während der Golf 1 noch etwa 9.000 Teile und rund 150 elektronische Komponenten aufwies, sind es beim aktuellen Modell etwa 33.000 Teile und über 1.500 elektronische Komponenten. Der Bedarf an Varianten steigt exponentiell, je mehr Modelle, Ausstattungsvarianten und technische Neuerungen die Fahrzeugflotten durchlaufen. Hinzu kommen regionale Unterschiede in der Nachfrage – sei es wetterbedingt (Klimakompressoren, Scheibenwischer), kulturell (Politurbedarf in Deutschland vs. Frankreich) oder technisch (Rechtslenker vs. Linkslenker). In Summe entsteht ein hochkomplexer Teilemix, dessen Versorgung nicht mehr allein durch zentrale Lagerhaltung abgedeckt werden kann.
Klassische Bevorratung stößt an Grenzen
Das zentrale Dilemma im Supply Chain Management: Einerseits verlangt der Markt nach maximaler Teileverfügbarkeit und schneller Lieferung. Andererseits steigen mit wachsendem Sortiment auch die Kapitalbindung, Lagerkosten und das Risiko von Überhängen. Autodoc hat darauf mit einem modularen Fulfillment-Konzept reagiert. Dieses basiert auf drei Säulen:
- Pre-Purchase: Bevorratung stark nachgefragter Artikel, sogenannte „Basket-Critical SKUs“, also Teile, bei deren Fehlen kein Kaufabschluss stattfindet. Diese Teile werden basierend auf Forecasting in großen Mengen eingelagert.
- Just-In-Time (JIT): Artikel mit geringer oder schwankender Nachfrage, stark saisonale Produkte oder Produkte mit begrenzter Lagerfähigkeit werden erst nach Bestellung beim Lieferanten geordert. Über 250 Partner sorgen europaweit für schnelle Nachversorgung.
- Dropshipping: Teile mit besonderen logistischen Anforderungen – wie Lkw-Batterien oder Reifen – werden direkt vom Hersteller oder Lieferanten an den Kunden geliefert. Das spart Handling, Zeit und Kosten.
Digitale Supply Chain als Rückgrat des Autodoc-Geschäftsmodells
Im Zentrum des Autodoc-Ansatzes steht eine hochflexible, digital gesteuerte Lieferkette. Die klassischen, starren Sourcing-Zyklen wurden drastisch verkürzt: Statt monatelanger Beschaffungsplanung arbeitet das Unternehmen inzwischen auf Wochen- oder sogar Tagesbasis. Voraussetzung dafür sind ein fein abgestimmtes Forecasting, verlässliche Lieferantenbeziehungen und eine weitgehend automatisierte Lagersteuerung. In den Distributionszentren dominieren digitalisierte Prozesse und selbstentwickelte Tools, die für eine dynamische Lagerhaltung und schnelle Nachschubsteuerung sorgen. Die gesamte Lagerinfrastruktur wurde dafür in zwei Typen unterteilt:
- Inbound Hubs zur Aufnahme großer Volumen und effizienter Einlagerung – vor allem für Eigenmarken wie Ridex und GoCore.
- Distributionszentren mit hoher Artikelvielfalt, die als operative Knotenpunkte für die Auslieferung dienen.
Kundenorientierung als Treiber logistischer Entscheidungen
Autodoc unterscheidet klar zwischen verschiedenen Kundengruppen: vom klassischen Selbstschrauber über den semi-professionellen Nutzer bis hin zur Werkstatt. Jede Zielgruppe hat andere Anforderungen an Lieferzeit, Produktauswahl und Preisgestaltung. Gerade im B2B-Segment ist eine vollständige und termingerechte Lieferung entscheidend. Eine Werkstatt, die auf eine Sammelbestellung angewiesen ist, verliert Zeit und Geld, wenn ein Teil fehlt oder verspätet geliefert wird. Deshalb wird die Bündelung mehrerer Artikel zu einer Sendung aktiv priorisiert – auch durch gezielte Lagerstrategie und Softwareunterstützung. Mit der Plattform Autodoc Pro wurde zudem ein dedizierter Vertriebskanal für Werkstätten geschaffen. Dieser bietet nicht nur Teile, sondern komplette Servicestrukturen mit persönlicher Betreuung und attraktiven Konditionen.
Eigene Marken als strategischer Vorteil bei Autodoc
Ein zentrales Element der Sortimentsstrategie ist der Ausbau von Eigenmarken. Unter Ridex und GoCore vertreibt Autodoc Teile für unterschiedliche Zielgruppen: Während Ridex auf Qualität und Preis-Leistung setzt, adressiert GoCore eher preissensitive Kunden. Die Eigenmarken werden in Lohnfertigung produziert und erlauben volle Kontrolle über Verfügbarkeit, Marge und Qualität. Insbesondere im Private-Brand-Segment ist Autodoc in der Lage, über langfristige Lieferantenverträge und Mengenbündelung attraktive Einkaufskonditionen zu sichern und diese in Form von Wettbewerbspreisen an die Kunden weiterzugeben.
Logistikmodularität bis zur letzten Meile
Ein einheitlicher Versandpartner für alle Pakete – das wäre aus Sicht der Einfachheit ideal. Doch in der Realität funktioniert das nicht. Unterschiedliche Artikelarten, Paketformate, Zielregionen und Kundenerwartungen machen eine modulare letzte Meile notwendig. Ob Glühbirne oder Auspuff, ob Frontschürze oder Sensor – jedes Produkt hat eigene Anforderungen an Transport und Handling. Autodoc arbeitet daher mit unterschiedlichen Versanddienstleistern, um die optimale Kombination aus Geschwindigkeit, Kosten und Verfügbarkeit zu realisieren. In Ballungsräumen wird zunehmend auf Same-Day-Delivery gesetzt. Expressoptionen und die Erweiterung regionaler Distributionszentren sollen in Zukunft die Liefergeschwindigkeit weiter erhöhen.
Starker Markt trotz Stillstand: Supply Chain zählt
Während der gesamte Automotive Aftermarket in Europa kaum Wachstum aufweist, gelingt es Autodoc, durch hohe Prozessflexibilität, datengetriebene Steuerung und zielgerichtetes Produktmanagement stetig Marktanteile zu gewinnen. Die nächsten Schritte: Ausbau digitaler Schnittstellen zu Lieferanten (Real-Time-Integration), Erweiterung lokaler Hubs für das B2B-Segment und Verstärkung von Value-Added-Services für Werkstätten und Handelspartner. Das Ziel: die bestmögliche Balance aus Preis, Auswahl und Geschwindigkeit.
Fazit
Die Zahl von 6,7 Millionen Artikeln im Sortiment zeigt vor allem eines: Sie ist längst nicht genug. Der Markt verlangt nach Tiefe, Verfügbarkeit und Reaktionsgeschwindigkeit. Autodoc begegnet dieser Herausforderung mit einer flexiblen, datengetriebenen Supply Chain, eigener Markenstrategie und einem modularen Logistiksystem. Die Fähigkeit, den Longtail zu bedienen und gleichzeitig wettbewerbsfähige Preise zu bieten, ist der Schlüssel für weiteres Wachstum im Aftermarket. Q: AMtalk / Autodoc
FAQ
Warum reichen 6,7 Millionen Ersatzteile bei Autodoc nicht aus?
Obwohl Autodoc 6,7 Millionen Artikel anbietet, reicht das Sortiment nicht aus, um alle individuellen Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Der Longtail im Aftermarket wächst stetig, da Fahrzeuge komplexer werden und regionale Anforderungen steigen. Dadurch wird eine tiefere und flexiblere Lager- und Lieferstruktur notwendig.
Wie funktioniert das modulare Fulfillment bei Autodoc?
Das Fulfillment bei Autodoc basiert auf drei Säulen: Pre-Purchase für Schnelldreher, Just-In-Time für seltene Teile und Dropshipping für spezielle Artikel. Diese Struktur ermöglicht es, schnell auf Bedarfe zu reagieren und dennoch Lagerkosten niedrig zu halten.
Welche Rolle spielen Eigenmarken wie Ridex oder GoCore?
Eigenmarken wie Ridex und GoCore sichern Preisstabilität, Verfügbarkeit und Margen. Sie werden in Lohnfertigung exklusiv für Autodoc produziert und decken verschiedene Kundensegmente vom Profi bis zum preisbewussten Privatkunden ab.
Warum ist eine modulare Logistik bis zur letzten Meile notwendig?
Verschiedene Produktarten erfordern unterschiedliche Versandlösungen. Große Teile wie Auspuffanlagen oder Batterien können nicht mit Standardpaketen verschickt werden. Modulare Logistik ermöglicht passende Zustelllösungen für jeden Artikel und jede Region.