Eine Untersuchung des ADAC bringt Licht in ein bislang wenig beachtetes Thema: den unterschiedlichen Reifenabrieb einzelner Hersteller. Die Auswertung basiert auf über 160 Testverfahren, die seit 2023 durchgeführt wurden. Die Ergebnisse sind von Bedeutung für kommende gesetzliche Regelungen auf europäischer Ebene – denn die Euro-7-Norm wird erstmals auch den Reifenverschleiß berücksichtigen. Finanziert wurde das Projekt durch die FIA Foundation im Rahmen eines Programms für nachhaltige Mobilität.
Klare Unterschiede zwischen den Anbietern
Besonders gut schnitten Reifen eines französischen Herstellers ab, der im Vergleich die geringste Materialabtragung zeigte. Knapp dahinter folgen Anbieter aus Korea, Deutschland und den USA mit ebenfalls relativ niedrigen Werten. Bei anderen etablierten Marken fällt hingegen auf, dass trotz ihres Premiumanspruchs deutlich mehr Materialverlust während der Nutzung gemessen wurde. Daraus ergibt sich: Ein hoher Preis allein ist kein Garant für umweltschonende Eigenschaften.
Testmethodik auf Praxisbedingungen abgestimmt
Um realitätsnahe Ergebnisse zu gewährleisten, erfolgten die Messungen sowohl im Straßenbetrieb als auch unter Laborbedingungen. Über eine Distanz von rund 15.000 Kilometern wurde die Veränderung des Reifenvolumens dokumentiert. Zusätzlich erfolgten Analysen der Laufflächen, um die typische Abnutzung zu erfassen. Diese Teststrategie ermöglicht eine vergleichbare Bewertung der verschiedenen Modelle und eine fundierte Einschätzung ihrer Haltbarkeit.
Im Rahmen der Euro 7-Vorgaben wird der Abrieb von Reifen künftig nicht als absoluter Wert gemessen, sondern ins Verhältnis zu einem definierten Referenzprodukt gesetzt. Dieser Vergleich führt zu einem Indexwert, der als Grundlage für die gesetzliche Zulassung dient. Ein Wert von 1,0 entspricht dem Referenzniveau, Abweichungen nach oben oder unten deuten auf schlechtere oder bessere Ergebnisse hin. Die konkrete Festlegung des Grenzwerts ist derzeit noch Gegenstand laufender Diskussionen.
Mögliche Folgen zu strenger Grenzwerte
Die Testergebnisse legen nahe, dass nur wenige Modelle den Anforderungen genügen würden, sollten die Grenzwerte besonders streng ausfallen. Produkte im unteren Preissegment wären davon voraussichtlich besonders betroffen – was soziale und wirtschaftliche Folgen hätte. Der ADAC plädiert daher für einen Kompromiss: Die Werte sollten ambitioniert, aber auch realistisch sein, um weiterhin eine Auswahl an unterschiedlichen Reifenmodellen zu ermöglichen.
Interessant ist, dass nicht alle Produkte mit geringen Abriebwerten auch bei anderen sicherheitsrelevanten Kriterien überzeugen konnten. In mindestens einem Fall zeigte ein Modell mit niedrigem Materialverlust erhebliche Schwächen im Bereich Fahrsicherheit – ein klarer Hinweis darauf, dass technische Verbesserungen in mehreren Bereichen parallel stattfinden müssen. Andernfalls droht eine Verschiebung der Entwicklungsprioritäten zugunsten von Umweltkriterien auf Kosten der Verkehrssicherheit.
Mikroplastik und Umweltfolgen durch Reifenabrieb
Reifenabrieb gilt als eine der Hauptquellen für Mikroplastik in der Umwelt. Durch den Abrieb der Lauffläche gelangen winzige Partikel in Luft, Boden und Gewässer. Der Anteil dieser Emissionen am Gesamtaufkommen von Mikroplastik ist in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus der Umweltforschung gerückt. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland jährlich mehrere Tausend Tonnen dieser Partikel freigesetzt werden. Die Einführung eines Grenzwerts im Rahmen der Euro-7-Norm ist daher auch ein klimapolitisches Signal. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie viel Abrieb technisch vermeidbar ist – und welche Zielvorgaben dabei sinnvoll erscheinen, ohne die Fahrzeugsicherheit zu gefährden.
Die Menge des Abriebs hängt nicht allein von der Laufflächenmischung ab. Auch Profilgestaltung, Reifengeometrie und die Temperaturbeständigkeit des Materials beeinflussen den Verschleiß erheblich. Hersteller, die gezielt auf abriebmindernde Gummimischungen setzen, arbeiten häufig mit einer ausgewogenen Balance aus Silica-Anteilen, synthetischem Kautschuk und Naturkautschuk. Zudem spielt die Struktur der Seitenwände eine Rolle, insbesondere bei hohen Lastwechseln und Kurvenfahrten. Reifen, die für Fahrzeuge mit hohem Drehmoment entwickelt wurden, benötigen darüber hinaus eine besonders abriebfeste Konstruktion. Diese technischen Details sind mitentscheidend dafür, wie langlebig und umweltverträglich ein Produkt im Alltag ist.
Bedeutung für den Großhandel und Werkstätten
Die zu erwartenden Vorgaben im Rahmen der Euro-7-Norm werden nicht nur die Reifenindustrie betreffen, sondern auch Auswirkungen auf den Ersatzteilhandel und Werkstätten haben. Sobald Abriebwerte Teil der Zulassungskriterien werden, dürften Informationen über die Abriebleistung verstärkt in die Beratung einfließen. Großhändler werden ihre Sortimente anpassen müssen, um den Vorgaben gerecht zu werden. Werkstätten wiederum werden häufiger technische Rückfragen zu Abriebklassen oder Umweltwerten erhalten. Die Entwicklung zeigt, dass klassische Reifenauswahlkriterien wie Preis, Fahrverhalten oder Geräuschentwicklung künftig um Nachhaltigkeitsfaktoren ergänzt werden – ein Wandel, der neue Schulungsinhalte für Fachkräfte notwendig macht.
Die Festlegung eines verbindlichen Grenzwerts für Reifenabrieb stellt die Normungsgremien vor komplexe Herausforderungen. Der Referenzreifen, auf den sich die künftigen Indexwerte beziehen, muss nicht nur technisch repräsentativ sein, sondern auch dauerhaft reproduzierbare Ergebnisse liefern. Zudem müssen Einflüsse wie Fahrzeuggewicht, Fahrstil und Temperaturverhältnisse bei der Bewertung neutralisiert werden. Aktuell laufen Abstimmungen auf Ebene der UNECE, um ein international einheitliches Prüfverfahren zu etablieren. Die Industrie steht dabei unter Zeitdruck: Einmal festgelegt, dürfte der Grenzwert Auswirkungen auf Produktentwicklung, Typgenehmigungen und letztlich die Vermarktung ganzer Modellreihen haben.
Fazit
Die Studie zeigt: Unterschiede beim Reifenabrieb sind nicht nur zwischen Budget- und Premiummarken vorhanden, sondern auch innerhalb des oberen Marktsegments. Einige Hersteller nehmen das Thema Ressourcenschonung bereits sehr ernst und erzielen gute Werte, andere hingegen haben noch Nachholbedarf. Für eine faire Umsetzung der Euro-7-Norm ist daher eine ausgewogene Regelung entscheidend – sowohl aus Umwelt- als auch aus Verbrauchersicht. Quelle: ADAC